Schambeinbogen Schmerzen beim Fahrradfahren – Ursachen und Maßnahmen

Beschwerden auf dem Fahrradsattel sind nicht gleich Beschwerden auf dem Fahrradsattel. Sitzprobleme und Schmerzen können von Reibung auf der Haut oder durch zu viel und zu punktuellen Druck herrühren. Sie kommen aber auch von falschen Sattelformen, die Sitzbein und Schambein sehr unnatürlich, also an ungeeigneten Punkten, belasten. Das kann zu Schmerzen und sogar Reizungen am Knochen bis hin zur Entzündung führen, vor allem an langen Tagen auf dem Fahrrad.
Schambeinbogen Schmerzen beim Fahrradfahren
Sitz- und Schambein sind die zwei der insgesamt fünf miteinander verwachsenen Beckenknochen, die beim Radfahren entweder einzeln oder gemeinsam Kontakt mit dem Sattel haben. Sie bilden gleichzeitig jeweils ein unteres Drittel der Gelenkpfanne für das Hüftgelenk. Das rechte und das linke Sitzbein – lat. os ischium – formen die beiden Sitzbeinhöcker aus, die man an der Unterseite des Pomuskels gut durch die Haut ertasten kann beziehungsweise beim Sitzen auf harten Flächen spürt. Sie sind von den Hüftgelenken aus nach hinten abwärts verlaufende Bögen. Auch die beiden Schambeine – lat. os pubis – verlaufen bogenförmig aufeinander zu. Sie orientieren sich aber nach vorne und im Stehen leicht aufwärts, bis sie sich in der sogenannten Schambeinfuge, einer knorpligen, also nicht durchgängig und massiv knöchernen, Verbindung treffen. Die liegt nur knapp oberhalb des Schritts und wird durch starke Bänder zusammengehalten. Die hierdurch mögliche Restbeweglichkeit ist besonders bei Geburten von Bedeutung, bei denen sich genau hier das Becken erweitert, um dem Fötus ausreichend Platz zu schaffen.
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Druckschmerzen am Schambein – ein Frauenproblem?
Die Fähigkeit zu gebären ist auch der Grund, warum bei Damen die bogenförmigen Schambeine weiter nach vorne und außen gewölbt sind – gut fürs Kinderkriegen, leider ein kleiner anatomischer Nachteil beim Fahrradfahren. Denn die beiden Schambeinäste formen bei Frauen einen breiteren, dafür flacheren Schambeinbogen aus. Das ist der untere Rand der beiden Schambeine, ein abgerundetes, auf dem Kopf stehendes „V“ unterhalb erwähnter Schambeinfuge.
Auf einem Stuhl sitzend macht das keinen Unterschied, Damen wie Herren lagern ihr Gewicht dann hauptsächlich auf den Sitzknochen. Die sind verhältnismäßig unempfindlich gegen Druckstellen. Bei der Sitzposition auf dem Fahrrad, mit je nach Disziplin mehr oder weniger nach vorne gekipptem Rücken, verschiebt sich der Druck auf der Sitzfläche in Richtung des Schambeinbogens. Auf einem Cityrad ist das kaum der Fall, auf einem Triathlonbike sehr. Neben der Radgattung wirken sich hier zusätzlich die Sattelhöhe, die Sattelform und das Geschlecht von Fahrer oder Fahrerin aus. Während bei Männern mit abflachendem Oberkörper-Winkel eher Probleme in den Genitalien bis hin zu Taubheitsgefühlen auftauchen, sind es bei den Frauen eher schmerzende Stellen an jenem Schambeinbogen und den dort liegenden Weichteilen im Intimbereich, die zu Sitzproblemen führen. Selbst der ebenfalls sensible, rückwärtige Dammbereich spielt hier eine untergeordnete Rolle, erst recht, wenn die Fahrerin zur Entlastung eine wertige Radhose und vielleicht zusätzlich eine Sitzcreme benutzt. Der Druck aufs Schambein dagegen ist durch solche Maßnahmen nicht wirklich spürbar abzumildern.
Zug und Druck am Schambeinbogen
Auf dem Becken lastet beim Stehen, Gehen und Laufen das gesamte Körpergewicht. Die Oberschenkelknochen übertragen es hauptsächlich in die Darmbeine, die die Oberseite der Hüftgelenkspfanne bilden. Die beiden Ausläufer der Schambeine erfahren im Normalfall keinen Druck von unten. Erst auf einem Längsbalken, Pferde-, beziehungsweise Fahrradsattel oder ähnlichem lastet Gewicht auf dem Schambeinbogen, je weiter man sich dabei nach vorne neigt, desto mehr verlagert sich auch der Druck dort hin. Bedenkt man die sportliche Haltung bei einem Triathlon oder auf dem Rennrad, sind bei den meisten Sätteln Überlastungen, Unbehagen und Sitzprobleme gerade im Damm- und Intimbereich nachvollziehbar.
Der kleine, schmerzliche Unterschied
Diese Belastungsverschiebung Richtung Schambein ist nicht nur von der Sportlichkeit der Sitzposition abhängig, sondern ändert sich auch recht stark mit dem Geschlecht der Person im Sattel. Der große Vorteil von Frauen beim Vorbeugen Richtung Lenker, durchschnittlich beweglicher zu sein als Männer, verändert sich in dem Zusammenhang etwas zum Nachteil. Bänder mit mehr Elastizität und weniger massive Haltemuskeln zwischen Rücken und Becken lassen die Hüfte von Damen eher Richtung Sattelnase kippen als bei Männern. Dadurch leiden die Herren erfahrungsgemäß eher an Schmerzen im unteren Rücken und an den Sitzknochen, Frauen dafür viel öfter an Druckschmerzen entlang des Schambeinbogens, bei sehr sportlicher Haltung bis hoch zu jener Schambeinfuge und Stellen in deren Umfeld.

Der weibliche Schambeinbogen verläuft zusätzlich flacher, das umgedrehte „V“ ist eher eine Welle. Für eine mögliche Niederkunft ragen die beiden weiblichen Schambeine außerdem noch weiter nach vorne und außen. Der Kontakt ihrer empfindlichen Partien mit der Sitzfläche findet beim nach vorne Kippen also viel eher statt als bei Männern. Man kann sich das vorstellen, als würde sich ein Mensch mit dickem Bauch nach vorne beugen, sein Oberkörper berührt die Oberschenkel viel eher als bei jemand mit schlanker Linie.
Das Druckbild einer Frau auf dem Sattel ist im Vergleich zum Durchschnittsmann deshalb weiter vorne gelagert beziehungsweise nach vorne erweitert. Bei Männern ist es eher auf die Sitzknochen konzentriert.

„Die Kombination aus Beckenanatomie, größerer Beweglichkeit und im durchschnittlichen Vergleich geringeren Haltekräften an der Hüfte verschiebt die Druckverteilung bei Frauen so weit nach vorn, dass selbst durchdachte Standardsättel völlig falsche Entlastungszonen bieten.“

Mehr als nur Druckschmerzen
Da durch den weiteren und flacheren Schambeinbogen bei Frauen die Kontaktpunkte zum Sattel im Allgemeinen etwas weiter außen liegen, kann es vorkommen, dass sie bei Standardmodellen nicht mehr ganz Platz auf der waagerechten Satteloberfläche finden, sondern daneben liegen, auch bei nominell großer Sattelbreite. Das Körpergewicht lastet dann auf den schräg aufwärts verlaufenden Partien Richtung Schambeinfuge – mit der Tendenz, diese jeweils nach außen statt oben zu drücken. Wie erwähnt ist die Verbindung der beiden Schambeinhälften nicht knöchern, sondern bildet eine Symphyse aus, eine theoretisch bewegliche Verbindung, die nur durch stramme Bänder zusammengehalten wird. Schambein-Schmerzen beim Radfahren sind also eine Kombination aus Druck von unten und Zug nach außen. Entlastung findet nur statt, wenn Sattelform und entsprechende Kanäle in der Polsterung für an die beschriebene Anatomie angepasst sind.
Vom Druckbild zur Sattelform
Was bedeuten nun alle diese Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Hinblick auf den Sattel und seine Form? Man braucht verschiedene!
Der Unterschied von funktionierenden Sätteln für Männer und Frauen liegt aber weniger an der Sattelbreite im hinteren Bereich, wie landläufig oft propagiert, sondern eher in der Ausformung der Sattelmitte und -nase. Bei Ergon ist es eben nicht so, dass es einen Standardsattel und ein generell breiteres Damenmodell gibt, sondern beide Varianten wurden speziell für das jeweilige Geschlecht und ihre Bedürfnisse entwickelt. Fast alle Sättel der gesamten Palette sind in Herren- und Damenmodelle aufgeteilt.

„Frauen zeigen auf dem Sattel nicht nur ein vorverlagertes, sondern insgesamt größeres Druckbild. Deshalb sind unsere Ergon-Sättel im Übergangsbereich etwas breiter, um sowohl Sitzbein als auch Schambein angenehm zu lagern. Dabei helfen hochwertige Polstermaterialien aus der Orthopädie. Auch der Entlastungskanal ist an die weibliche Anatomie angepasst, wegen des vorrotierten Beckens reicht er bis in die Sattelspitze und ist breit genug für die Weichteile.“
Was kann ich bei Schmerzen am Schambeinbogen tun?
Um den schmerzhaften Druck zwischen Schambein und Sattel zu reduzieren, könnte man entweder durch Veränderung der Sitzposition das Becken nach hinten kippen, so handelt man sich aber schnell statt dem einen neue Probleme ein. Besser und nachhaltiger ist, man tauscht den Sattel gegen ein ergonomisch an Körper und Geschlecht angepasstes Modell aus. Alternativ kann man durch Stretching und oder Kräftigungsübungen ebenfalls den Winkel des Beckens zum Sattel korrigieren, aber eher langfristig. Sattelneigung und Nachsitz zu verstellen, oder den Lenker deutlich anzuheben, um die Verlagerung des Druckbilds Richtung Sitzknochen zu erreichen, solche Maßnahmen greifen aber sehr in die Kraftübertragung beim Treten und oder Steuerung des Bikes ein. Bevor man solch einschneidenden Maßnahmen ergreift, lohnt die Suche nach einem möglichst perfekt passenden Sattel. Ziel muss sein, sowohl die knöchernen Kontaktstellen – Sitzknochen und Schambeinbogen – als auch die Weichteile so auf dem Profil des Sattels positionieren zu können, dass es keine spezifischen Schmerzpunkte mehr gibt. Komplett eliminieren lässt der Druck sich nicht. Er kann nur durch den passenden Sattel, dynamisches Sitzen und gelegentliches Aufstehen auf ein möglichst homogenes Druckbild ohne Druckpunkte umverteilt werden. Die Weichteile sollten dabei entlastet oder noch besser ausgespart werden.
Was kann passieren, wenn ich die Schambein-Schmerzen ignoriere?
Im schlimmsten Fall könntest du die Freude am Radfahren verlieren. Deshalb sollte man grundsätzlich sollte Sitzbeschwerden nicht ignorieren. Auch nicht, weil sich aus ständigem Druck langwierige Probleme ergeben können. Wie jeder Knochen, der ungewohntem Druck und Reibung ausgesetzt ist, kann aus einer Reizung auch ein dauerhafter Schmerz werden. Das bedeutet dann einige Wochen Pause vom Radfahren. Da hinter und unter dem Schambein mit den Genitalien die mit empfindsamsten Organen im Körper liegen, gehört es ebenfalls zu den Aufgaben eines guten Sattels, diese so lagern, dass sie nicht zwischen Schambeinbogen und Satteldecke eingedrückt werden.
Sehr unangenehm sind auch die Folgen von Sattelformen, die horizontale Zugbelastung auf linkes und rechtes Schambein bringen, wie oben beschrieben. Sollte dieser Zug stark und langzeitig wirken, kann es in Ausnahmefällen zu einer Lockerung der Symphyse wie bei Schwangeren kommen. Bewegungen der beiden Schambeinseiten im Bereich der Symphyse relativ zueinander kommen bei gesunden Radfahrer*innen quasi nicht vor. Ständige Zugbelastung auf den Bandapparat dort können aber recht schnell zu Überlastungen führen. Das ist dann nicht nur schmerzhaft, sondern könnte schnell zu Entzündungen und Beschwerden sogar beim Gehen und Stehen führen.
Ein ergonomischer Sattel ist also nicht nur eine gute Investition, wenn es schon zu Problemen im Bereich des Schambeinbogens gekommen ist.